Kurzversion
Die Kurzversion dieses Beitrags lautet: Ja! Schlagzeug ist auch was für Mädchen. Punkt.
Wieso und warum in der nachfolgenden, ausführlicheren Variante.
Meine sich wiederholende Geschichte
Immer wieder tauchen zu »Schnupperstunden« Eltern mit Schlagzeug begeisterten Töchtern auf, die wissbegierig alles ausprobieren. So wie das Mädchen, das auf Anhieb den Groove zu Michael Jacksons »Billie Jean« mitspielen kann, 1000 Fragen stellt, in 3 Minuten einen Kanon auf dem Vibrafon lernt, und ständig gekonnt rhythmisch tanzt, sobald irgendein Rhythmus erklingt.
Es ist nicht das erste Mal, dass keine anschließende Anmeldung erfolgt. Nach mehreren E-Mails mit den Eltern muss ich, ebenso enttäuscht wie die Kleine vermutlich auch, frustriert aufgeben. Schlagzeug sei nicht das richtige, und doch eher was für Jungs.
Auch auf die Gefahr hin, manch männlichem Drummer jetzt viel abzuverlangen, muss die Katze doch gleich aus dem Sack. Fakt ist: Die ersten, uns historisch bekannten »Drummer« waren weiblich! Und ausreichend Beweise dafür, dass Schlagzeugerinnen nach wie vor eine bedeutende Rolle für gesamte Musikszene spielen, findest Du in diesem Artikel.
»Klassische« Vorstellungen
Im Gegensatz dazu ist die Vorstellung einer Geige, Klavier oder Querflöte spielenden Tochter für viele Eltern nach wie vor die bevorzugte. Die Ursache solcher Unsicherheiten liegt aber wohl vor allem darin, dass Eltern für das Instrument Schlagzeug die Blaupause fehlt.
Trotz aller »modernen« Entwicklungen begegnen viele Eltern der Geige und dem Klavier tendenziell mit »gebotener« Ehrfurcht. Als »leichter« gelten Gitarre oder Keyboard. Und das »Schlagzeug« ist – wie schließlich schon der Name sagt – Zeug, worauf vor allem Mann draufschlägt.
Warum nichts der Realität ferner ist, erfährst Du in diesem Beitrag: »Schlagzeug, das ist mehr als Du denkst. Wetten?«
Schlagzeug- eine »Veranlagung«?
Ein anderer, häufiger Gedanke betrifft die Frage der Veranlagung: »können« Mädchen grundsätzlich genauso (gut) Schlagzeug lernen wie Jungs? Manche Eltern denken dabei an körperliche Aspekte wie »Kraft« und »Körperbau«. Andere beschäftigt eher die Frage der Mentalität: braucht man dazu nicht typischerweise jungenhaftes Durchsetzungsvermögen? Oder noch schlimmer: Das Schlagzeug verdirbt den weiblichen Charakter?
Aber welche der »klassischen Konditionierungen« auch immer uns in Zusammenhang mit der Frage beschäftigen mögen: Für alle diese Zweifel finde ich in 35 Jahren Schlagzeuglehrer-Praxis keine Belege. Die Herangehensweise von Mädchen und Jungs an das Instrument Schlagzeug mag unterschiedlich sein. Gerade das aber bietet viele Möglichkeiten gegenseitiger Bereicherung, und die Option, voneinander zu lernen.
Dass Mädchen natürlich können, beweisen im Internet viele junge Talente. Zum Beispiel Alena Chirkova. Hier ihre beeindruckende Interpretation der anspruchsvollen Komposition »Tornado« von Mitch Markovich.
Musikerinnen und Musiker denken nicht in »Geschlechtern«
Gefühlt spielt das Geschlecht unter meinen Schlagzeug-Heroes keine Rolle. Für Musikerinnen und Musikern das Gefühl wichtig, zueinander zu passen. Es muss musikalisch klicken! So wie sich Menschen sich das in anderen Partnerschaften auch wünschen. Zu meinen größten Vorbildern an den Drums gehören einige Frauen, zum Beispiel Musikerinnen wie:
Robyn Schulkowsky – bei dieser beeindruckenden Aufführung ihrer Komposition »Armadillo« war ich sogar live vor Ort
Terri Lyne Carrington – hier im »Tiny Desk« Konzert mit ihrer jungen Band »Social Science«
Evelyn Glennie – die uns in diesem längst viralen TED-Talk (24,4 Millionen Aufrufe) in ihrer unnachahmlichen Art in die Geheimnisse des Schlagzeugs einweiht
oder Marilyn Mazur – hier mit ihrem wunderbaren Solo-Projekt »Pink Poem«.
Schlagzeugerinnen im Jahr 2380 v. Chr.
Die eingangs erwähnte, immer noch weit verbreitete Annahme, Trommeln sei typisch maskulin, ist historisch unbegründet: Die ältesten, uns bekannten Abbildungen trommelnder Menschen stammen aus Mesopotamien, und zeigen ausschließlich Frauen! Die tonangebenden »Drummer« dieser Zeit waren offensichtlich weiblich.
Lipushiau, die Erste, uns namentlich bekannte »Schlagzeugerin« ist eine Priesterin. Im Jahr 2380 v. Chr. war sie Oberhaupt des »Ekishnugal«, des obersten Tempel des Stadtstaates Ur, der damals alle umliegenden Staaten unterworfen hatte. Ihr Instrument ist eine Rahmentrommel, die sogenannte »balag-di«, mit der die Zeremonienmeisterin Ihre Gemeinde durch liturgische Gesänge führt.
Als Fachfrau auf dem Gebiet »Trommelhistorie« gilt die renommierte Perkussionistin und Forscherin Layne Redmond. Sie hat sich lebenslang mit der Geschichte des Trommelns beschäftigt. In ihrem Artikel vom Dezember 2000 für die internationale Fachzeitschrift »Drum Magazine« resümiert sie: »Im Jahr 2380 v. Chr. herrschte Lipushiau!« Die erwähnten Liturgien beschreibt sie als »Rave-artige« Zeremonien, die sich über mehrere Tage erstreckten.
Layne Redmond
Layne Redmond gilt als verlässliche, und ernst zu nehmende Quelle. Unter den Musikhistorikern ihrer Zeit galt sie als führend. In der Februar-Ausgabe 2000 der Zeitschrift »Drum« Name wird ihr Name in einer Liste der 53 wichtigsten Schlagzeugerinnen und Schlagzeuger der 1990er Jahre erwähnt. Man findet sie dort in einer Reihe neben Musikern wie Tony Williams, Roy Haynes, Zakir Hussain, Elvin Jones oder Mickey Hart.
Internationales Aufsehen erregte ihr Buch »When the drummers were women« – inzwischen ein Standardwerk in Sachen Geschichte des Schlagzeugs.
Laut ihrer Forschung war die Rahmentrommel in der Zeit von 3000 v. Chr. bis 500 n. Chr. überhaupt das vorherrschende Schlaginstrument. In den Zivilisationen Anatoliens (der ursprünglichen Türkei), Mesopotamiens, Ägyptens, Griechenlands und Roms ist sie bis heute das zentrale Instrument der mystischen und religiösen Tradition.
Eine private, umfangreiche Sammlung antiker Bilder des heute führenden Rahmentrommel-Virtuosen Glen Velez zeigt die Trommel fast ausschließlich in den Händen von Frauen.
Auch in der afrikanischen Tradition, für viele westliche Musikfreunde die Trommelkultur par excellence, spielen weibliche Drummer eine bedeutende Rolle.
Schlagzeug-Schülerinnen in der Musikschule
Als Lehrer empfinde ich die zunehmende Anzahl von Schülerinnen als absolute Bereicherung der Schlagzeugklasse insgesamt. Die in der Regel unbedarft interessierte Herangehensweise vieler Mädchen inspiriert mich, und erweitert meinen Horizont. Nicht selten beeindrucken sie durch besondere Zielstrebigkeit und Fokus.
Gefühlt haben Mädchen weniger Angst, »Fehler« zu machen. Es überwiegen Spaß und Freude an der Sache. Unterm Strich habe ich den Eindruck, Kinder sind am Schlagzeug, aber vor allem Kinder – und weniger »Jungs« und »Mädchen«.
Diese Schlagzeugerinnen solltet Ihr unbedingt kennenlernen
Abschließend einige weitere, für Dich und Sohn / Tochter gleichermaßen bereichernde Liste mit Links zu bekannten Schlagzeugerinnen unserer Zeit:
Robyn Schulkowsky – hier in einem Filmmusikprojekt mit einigen meiner Schülerinnen und Schüler (!)
die ebenfalls bereits erwähnte Trommlerin und Historikerin Layne Redmond – mit Glen Velez & N. Scott Robinson, New York 1989 - auch wenn die Aufnahme älter ist: Es lohnt sich!
meine ehemalige Kommilitonin an der Hamburger Musikhochschule, die wunderbare Annette Kluge – Deutsche Rock- und Pop-Schlagzeugerin und Schauspielerin. Hier im Kanal 21 Fernsehkonzert - Frizz Feick & »Viel zu schön«
Sheila E. – Schlagzeugerin, Sängerin, Perkussionistin (u. a. mit Popstar »Prince«). Hier eine meiner Lieblingsaufnahmen vom »Modern Drummer Festival« 2005.
Nochmals, Marilyn Mazur! Hier ein Link zu dem mit ihrer Webseite verknüpften YouTube-Kanal »Marilyn Mazur's Music«.
Und noch mal Evelyn Glennie mit einem Instrument, dass wohl die wenigsten Kinder schon mal gesehen und gehört haben: »Hyperstellar Sailophone Waterphone«
Cindy Blackman – hier mit »Santana« und dem Welthit des »Königs der Timbales«, Tito Puente: »Oye Como Va (... mi ritmo«). Der Song, zu Deutsch: »Hör mal, wie mein Rhythmus geht«, ist geprüft Kindergeburtstag tauglich.
Auch im Hard Rock gibt es namhafte Schlagzeugerinnen wie Roxy Petrucci: Sie trommelt für Gruppen wie »Madam X« oder hier »Vixen«, ist aber auch unterwegs mit Rockgrößen wie »Deep Purple«, »Kiss« und Rock-Ikone Ozzy Osbourne.
Eine der ersten, einem Fernsehpublikum bekannten Schlagzeugerinnen war Karen Carpenter. Sie machte die eine Hälfte des erfolgreichen, US-amerikanischen Pop-Duos »The Carpenters«- aus. Hier als 18-Jährige in einer Fernsehshow 1968.
Viola Smith war in den 1930er und 1940er Jahre eine der ersten Schlagzeugerinnen der damaligen, amerikanischen Popmusik. Hier zu hören 1939 mit »Frances Carroll & Her Coquettes«. Viola Smith verstarb 2020 im Alter von 107 (!) Jahren.
Eine noch junge, innovative Musikerin ist Philo Tsoungui. Aufgewachsen ist die deutsche Schlagzeugerin (u. a. »The Mars Volta«) im bayrischen Hof. Hier mit einer knackigen Performance, aufgenommen in den Niederlanden.
Die Welt ist groß, und glaubt mir, es gibt noch einige bemerkenswerte Schlagzeugerinnen mehr. Leider viel zu viele für einen Blogbeitrag. Ich hoffe, dieser Beitrag kann Dich und Dein Schlagzeug interessierte Tochter dazu inspirieren, es doch einfach mal zu versuchen.
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