»Schlagzeug«, das ist mehr als Du denkst ...

»Schlagzeug«, das ist mehr als Du denkst. Wetten? 🙃

May 02, 2024

Und schon geht es weiter mit einem neuen »Schlagzeug-Flüsterer« Beitrag: Schlagzeug, das ist mehr als Du denkst. Wetten?

Die meisten Menschen denken bei dem Wort »Schlagzeug« automatisch an das heutzutage gebräuchliche »Drum-Set«, oder auch »Trap-Set« (USA) genannt. Dass es sich hierbei um ein Ensemble ursprünglich getrennt gespielter Instrumente handelt, ist vielen »Drum-Set« Neulingen gar nicht bewusst.

Wenn Eltern und Kindern in der ersten Schnupperstunde klar wird, wie »artenreich« der Fachbereich eigentlich ist, staunen viele nicht schlecht. Manchem tut sich eine ganz neue Welt voll ungeahnter Möglichkeiten auf.

Diese kleine Beitragsreihe ist dazu gedacht, Euch und Eurem Trommelwunder im Werden einen kleinen »Grundkurs« zu ermöglichen. Im Idealfall setzt ihr Euch bei Gelegenheit zusammen, und erkundet die weite Welt des Schlagzeugs, je nach Alter, gemeinsam.

Das selbstständige Musik-Entdecken zu Hause ist eine wertvolle Lernergänzung. Es unterstützt die Intention eines jeden guten Lehrers, Interesse und Motivation von Kindern zu mehren, und lange zu erhalten.

Teil 1 - »Instrumentenkunde«

Heute, in Teil 1, stelle ich die einzelnen Schlagzeug-Instrumente und ihre Urväter und Mütter vor. Tatsächlich ist es noch gar nicht lange her, dass das Erlernen verschieder Trommeln, Stabspiele und Perkussion selbstredend zum Ausbildungsstandard des Fachbereichs gehörte: Als ich in den 1970-er Jahren zur Musikschule ging, wurde das »Drum-Set« als solches noch kaum unterrichtet.

Das »Normal« war: Du fängst mit der »kleinen Trommel«, heute meist »Snare-Drum« genannt, an. Ziel war, Schülern zunächst eine solide Spieltechnik zu vermitteln. Darauf baute dann alles andere auf.

Oft lernte man die ersten 2–3 Jahre »nur« kleine Trommel. Nach und nach kamen klassische Orchester-Instrumente wie Pauken, diverse Perkussions und Stabspiele (Malletinstrumente, abgekürzt »Mallets«) dazu. Nur auf Anfrage gab es »Drum-Set«. Grundkenntnisse am Klavier wurden nebenher vermittelt, und waren obligatorisch.

Wenn man Harvey Masons legendäre Groove-Nummer »Chameleon« hört, mag man zwar überhaupt nicht an »klassische Ausbildung« denken. Genau davon aber berichtet die Jazz-, Rock- und Pop-Ikone des Schlagzeugs in einem Interview.

Genauso, entlang dieser Standards hat der Drummer von unter anderem James Brown, Quincy Jones, Carlos Santana, Barbra Streisand und Herbie Hancock sein Instrument erlernt. Er sagt: »wenn Du das (klassische) gelernt hast, kannst Du jede Musik spielen«. Wenn ich den inzwischen 77-Jährigen so höre, oder in seiner vielseitigen Diskografie stöbere, wirkt beides ziemlich überzeugend.

Bewährtes bewahren schafft Mehrwert

Die Zusammenhänge zwischen Tradition und Drum-Set zu kennen, kann also zumindest erfolgreichen Schlagzeugern nach kein Fehler sein. Leider galt »das alte Wissen« zu meiner Schülerzeit als leicht antiquiert. Das »Drum-Set« emanzipierte sich gerade erst, und wer als junger Mensch »cool« sein wollte, suchte einen Drum-Set-Lehrer.

Was die Kunst der Musikvermittlung betrifft, war »die alte Schule« vielleicht tatsächlich etwas verstaubt. Rückblickend aber hat mir die zeitweise Abkehr von der Tradition eher geschadet als genützt. Heute übe ich ständig Klassik. Und ich denke, das »alte Wissen« sollte nach wie vor seinen festen Platz in der musikalischen Bildung haben.

Nachfolgend ein Notenbeispiel aus dem Klassik-Unterricht. Aus den 1970ger Jahren - handgeschrieben von meinem damaligen Lehrer Edgar Fröhlich!

Genauso wenig, wie der Goethes, Schillers und Heines, sollten wir uns unbedachter Weise der eigenen Musiktradition entledigen. Und sie schon gar nicht durch überwiegend für Kinder und Jugendliche speziell »konzipierte« Musik ersetzen.

Eine feierliche Bach-Kantate kann durchaus auch einem Säugling freudiges Entzücken auf die Wangen zaubern. Ebenso wie der Rhythmus eines brasilianischen Drum-Ensembles eine »erst« 3-jährige in Bewegung versetzen kann.

Im Gegensatz zu Musik, deren Inhalt man erst ab, oder nur in einem dafür vorgesehenen Alter »versteht«.

Teil 2 - Philosophie des Trommelns

In einem Folgebeitrag wird es darum gehen, Euch einen Einblick in verschiedene philosophische Ansätze des Schlagzeugspiels zu vermitteln. Die sind, um das größere Ganze erfassen zu können, genauso nützlich zu verstehen.

Regelmäßig in den Text eingestreut findet ihr weiterführende Literatur, Quellenverweise und / oder Hör- und Video-Beispiele.

Die »Ahnherrin« unseres »Drum-Sets«

Wie das englische Wort »Set« (Menge, Reihe) schon sagt, haben wir es also mit einer gewissen »Anzahl an Schlaginstrumenten« zu tun. Wie das Bild zeigt, kann das eine ganz schön große Menge sein. Zum Standard jedoch gehören 2-3 Becken, 1 Bass Drum, 1 Snare, ein oder zwei Hänge-Tom-Toms, und ein Stand-Tom-Tom oder Floor-Tom.

Wie bereits erwähnt, werden alle diese Instrumente ursprünglich von einzelnen Spielern, oft regelrechten Meistern ihres Fachs, gespielt. In vielen Kulturen, beispielsweise der afrikanischen oder brasilianischen, ist das bis heute überwiegend der Fall.

Was wir heutzutage »Drum-Set« nennen, geht zunächst zurück auf die klassischen Schlaginstrumente im Orchester. Deutlich zu erkennen in diesem Video des legendären Steptänzers Fred Astaire. Es vermittelt einen Eindruck davon, welche Instrumente Schlagzeugern vor noch nicht allzu langer Zeit als »Drum-Set« zur Verfügung standen. 

Man beachte die kleine Hi-Hat unten links im Bild. Das sogenannte »Sock-Cymbal« wurde zuerst gar nicht mit der Hand, sondern ausschließlich mit dem Fuß gespielt!

Schlagzeuger im Orchester

Viele Orchesterwerke großer Orchester Komponisten verlangen mehrere Schlagzeuger, die parallel zueienander anspruchsvolle Snare Drum, Pauken und Becken Parts spielen. Ähnlich einem Chor, Bläser oder Streicher-Ensemble, in demder Gesamtklang die Summe verschiedener Einzelstimmen ausmacht.

Ein Snare-Drum Part im Orchester kann beispielsweise so klingen:

10. Sinfonie - Dimitri Schostakowitsch - Auszug

Oder: Hier ein anspruchsvoller Pauken Part aus Igor Strawinskys weltberühmter Ballettmusik »Die Frühlingsweihe«. Komponiert 1913 für das »Ballets Russes«, eines der bedeutendsten Ballettensembles des 20. Jahrhunderts.

»Le Sacre Du Printemps« - Auszug

Zu diesem berühmten Werk gibt es übrigens eine interessante, empfehlenswert familientaugliche DVD: die Doku »Rhythm Is It«! - eine beeindruckende, farbenfrohe Aufführung der Berliner Philharmoniker gemeinsam mit Berliner Schulklassen.

In intensiver Workshoparbeit wird Strawinskys »Le sacre du printemps« erarbeitet, und schließlich mit den Philharmonikern vor großem Publikum aufgeführt. Die Probenarbeit zu begleiten ist für jeden »Schlagzeug-Flüsterer« eine pädagogisch wertvolle Inspiration. Die gezeigte Premiere ist übrigens von beeindruckender Professionalität!

Ein Film, der Kindern intuitiv »ich kann was - wenn ich will« Gefühle vermittelt. Hier der Link zur empfehlenswerten DVD!

Schlagwerk und neue Instrumente erfinden

Je nachdem, was auf dem Programm steht, kommen in ein und demselben Orchesterwerk 3 oder mehr Schlagzeuger zum Einsatz. Für das Interlude zu seiner Oper »Die Nase« weiß der Komponist Dimitri Schostakowitsch sogar 9 Instrumentalisten zu beschäftigen.

Insbesondere zeitgenössische Werke können eine Vielzahl verschieden gestimmter Trommeln, Snare-Drums, Perkussion-Instrumente, Pauken und/oder Stabspiele wie Marimba, Vibrafon und Glockenspiel erfordern.

Je nachdem kommen sogar modifizierte, oder speziell für das neue Werk entwickelte Instrumente zum Einsatz. Die erforderlichen Spieltechniken müssen vom Orchester-Schlagzeuger erlernt werden. Oft arbeiten Ausführende und Komponisten eng zusammen. So werden neue Techniken vom Interpreten, (Schlagzeug-Solisten) und Urheber gemeinsam entwickelt.

Hier ein Auszug aus »Audiovisionen«, einer Aufführung zeitgenössischer Musik mit Schlagzeugerin Robyn Schulkowsky. Unter anderem spielt sie auf überdimensionalen, extra für sie gebauten Holz Klangstäben:

Robyn Schulkowsky & Gebrüder Teichmann live at Audiovisionen

Das Schlagzeug als Solo-Instrument

Selbst als Solo-Instrument ist das Schlagzeug längst etabliert: Ein »Konzert für Schlagzeug und Orchester« steht heute genauso selbstverständlich auf dem Spielplan, wie das klassische Klavier-Konzert.

Interpreten wie Robyn Schulkowsky, Evelyn Glennie oder Martin Grubinger sind feste Größen im europäischen Musikgeschehen. Moderne Komponisten schreiben ganze Werke explizit für diese Schlagzeuger und Schlagzeugerinnen.

Spannend zu hören und zu sehen ist bspw. auch dieses Werk des zeitgenössischen, isländischen Komponisten Daniel Bjarnason (*1979), mit Martin Grubinger (Schlagzeug):

»Inferno« - Konzert für Schlagzeug und Orchester

Stabspiele

Unter meinen Schülerinnen und Schülern sehr beliebt sind die eingangs erwähnten Stabspiele. Sie sind ebenso fester Bestandteil der klassischen Schlagzeuger-Ausbildung wie auch verschiedene, im allgemeinen unbekanntere Instrumente. Zum Beispiel:

u. v. a. m.

Wenn Ihr Euch einen kleinen Überblick über typische Schlaginstrumente im Orchester verschaffen wollt, verbringt mal einen »Videoabend« auf dem YouTube-Kanal von @triangelboy5798.

Hier könnt ihr einen jungen, klassischen Schlagzeuger hautnah erleben! Ganz nebenbei lernt ihr großartige Orchestermusik kennen. Inspirierend zu hören und sehen!

Einer meiner persönlichen Favoriten ist Maurice Ravels »Daphnis et Chloé« Suite 1 & 2!

Wie man unschwer erkennt, ist der »Job« des Schlagzeugers im Orchester anspruchsvoll. Es werden sowohl umfangreiche Kompositions- und Harmonielehre, als auch fundierte Klavierkenntnisse erwartet.

Afrika

Viele Schlaginstrumente, auch aus dem klassischen Orchesterbereich, haben wiederum eindeutige Bezüge zu bis heute in Afrika verwendeten Instrumenten. Beispielsweise:

Schlitztrommel und Kinder

Letztere ist geradezu prädestiniert für das gemeinsame Spielen mit Kindern. Mit einfachen Rudiments wie dem »Paradiddle« lassen sich aus dem Stand tanzbare, afrikanisch klingende Grooves spielen.

Erfahrungsgemäß macht es Schülerinnen und Schülern aller Altersgruppen viel Spaß, auf Schlitztrommeln zu improvisieren. Das Instrument eignet sich ebenfalls hervorragend für das Spielen zu zweit.

Unter nachfolgendem Link findet ihr ein Video, das meine ehemalige Schülerin Anna, seinerzeit (13), mit ihrem jüngeren Bruder zusammen produziert hat. Ihre »Film-Musik« mit Djembé, Schlitztrommel und Marimba haben wir im Unterricht aufgenommen. Protagonisten ihres Filmes sind Tiger und Chewie, die beiden Familien-Katzen:

Hier geht's zu Annas »DEUX CHATS ET LA VIE«!

»Schlagzeug« - mehr, als Du denkst! #2

Ich hoffe, ihr konntet in diesem Beitrag ein paar inspirierende Eindrücke gewinnen?

Fragen und Anregungen gerne in die Kommentare.

Im späteren, zweiten Teil befassen wir uns mit Rhythmen, Mythen und Geschichten rund um die Trommeln. Außerdem weiteren, westlichen Einflüssen außerhalb des Orchesters.

Viel Spaß beim gemeinsamen »Schlagzeug forschen«, sehen und hören!

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