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Ein Leben in Fragmenten

Ein Leben in Fragmenten

May 30, 2020

Brave Wiederholungsschleifen im Kopf, die einst ihren Weg durch ihre Ohren fanden. Angepasst und funktionierend, ein Leben zwischen den Zeilen. Milde lächelnd, pseudo-aufmerksam nickend und niemals den Augenkontakt vergessend. So ist sie da und doch ganz woanders. Lebt in ihrer eigenen Wolkenwelt, wo sie nichts wirklich betrifft, aber eben auch nichts wirklich berührt. Sie redet sich ein, dass sie das Leben im Grunde nichts angeht und lässt es teilnahmslos vorüberziehen. Zeit ist für sie nur Sand, der rhythmisch zwischen ihren Händen hindurchrieselt. Der Übergang von Tag zu Nacht ein Signal dafür, dass sie es wieder einmal geschafft hat, es hinter sich zu bringen. Aber darf man dies überhaupt ein Leben nennen?

Wie gerne wäre sie so wie alle anderen. Im ständigen Kampf um Nachahmung und Akzeptanz vergisst sie aber, als wer sie geboren wurde. Ihr Herz schlägt, ihre Atmung fliesst, ihre Synapsen senden elektrische Impulse. Es scheint alles so zu sein, wie es sein sollte. Doch ihr Magen kann die zähen Gedanken nicht verdauen, die einst in sie gepflanzt wurden und jetzt wie ein wilder Garten in ihr wuchern. Es fällt ihr schwer, glücklich zu sein.

«Wie möchtest du mich haben?» Mit diesem Anliegen wendet sie sich bittend an ihre Mitmenschen, verliert sich im Augenkontakt; in gestohlenen Küssen; in Umarmungen, die sie nie ganz zu umfangen vermögen. Sie spricht von Liebe und kämpft weiter. Sie spricht von Glück und leidet immer noch leise. Sie erzählt von ihren Träumen und glaubt doch selbst nicht mehr daran. Wann ist sie denn schon wirklich bei sich?

Wer sie ist und wer sie sein will sind zwei grundverschiedene Fragen. Ab und zu zupft sie ein Wort aus einer fremden oder auch vertrauten Stimme und drückt es eng an ihr Herz. Dann fühlt sie sich für einen kostbaren Moment angekommen. Aber ein Wort ist schlussendlich nur eine Abfolge von Klängen, der einst ein Sinn verliehen wurde. Doch es entfaltet seine Macht; solange, wie sie an seine Bedeutung glaubt. So erschafft sie sich eine Identität aus Fragmenten, blättert durch das Buch ihres Gegenübers und versucht, ihre eigene Sprache zu finden.

Erst wenn es um sie herum ganz leise wird, verschwindet alles Geflüsterte, Gesagte, Geschriene. Dann ist für die Dauer einiger Sandkörnchen alles gut, so wie es ist. Und sie darf den Kosmos in sich spüren, der sie ist und schon immer war. Erst wenn sie alleine ist, ist sie mit sich verbunden, erst dann wird aus Sprache etwas, was sich in Worten nicht ausdrücken lässt; ein Summen, Vibrieren, Schwingen, Klingen – die Farbe ihrer Seele.

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