Štihvort Germanizam

Štihvort Germanizam

Mar 27, 2024

Dass man in Bosnien, Serbien, Kroatien und Montenegro viele deutsche Lehnwörter verwendet, ist bekannt. Auffällig viele beginnen interessanterweise mit Š. Eine kleine Auflistung und ein Erklärungsansatz für diese bemerkenswerte Häufung.

Es ist wirklich ein štos papira, der sich vor einem stapelt, wenn man alle deutschen und österreichischen Lehnwörter in der Sprache ohne Namen sammelt, die mit š beginnen. Wobei einem natürlich auch ein šuft einen štos versetzt haben kann, damit man sich die Frage überhaupt stellt – etwa, wenn man gerade vor einem šalter in einer Behörde angestellt war.

Das macht bekanntermaßen niemand gern, aber anstellen lassen, das mögen die Ämter im ehemaligen Jugoslawien. Vor allem die bosnische Post ist recht erfindungsreich, um die Anzahl der šalter zu maximieren. In der Regel hat so ein Amt auch einen štab, der die Dinge koordiniert.

Während natürlich niemand etwas dagegen hat, viele šalter zuhause zu haben. Damit lässt sich das Licht bequem aufdrehen, und in jedem echten Jugo-Haushalt hat der Boiler im Badezimmer seinen eigenen, den man am besten aufdreht, wenn man warm duschen will.

Um die šalter ordentlich zu montieren, brauchte man sicher eine špahtla.

Die angenehmen Dinge des Lebens haben oft österreichische Ausdrücke

Lieber als vor dem šalter in der Behörde steh ich ja zugegebenermaßen vor der šank. Im Sommer trink ich dort gern einen špricar, der manchmal auch einfach nur špric heißt. Man merkt, dass das Deutsche, vor allem in seinem österreichischen Idiom, im ehemaligen Jugoslawien auch die angenehmen Dinge des Lebens geprägt hat.

Dazu gehört auch, in einer echten bosnischen špajz zu stöbern. Dort findet man allerlei mit šmek, wie einem Leute von Zagreb bis Ulcinj bestätigen werden. Ob auch špek und šunka dabei sind, ist vorwiegend eine religiöse Frage.

Einiges in der špajz wird auch weniger zum Essen sein, das trinkt man unter Umständen aus einer šolja. Dazu gibt’s unter Umständen šlag, was in Deutschland unter Umständen Verwirrung auslösen könnte. Wenn man Pech hat, treibt sich in der špajz eine šaba rum, wobei ich mir nicht sicher bin, ob erst die švabos das Ungeziefer brachten oder das schon vorher so hieß.

Die meisten Sachen, die man in so einer špajz findet, wurden übrigens mit einem šleper in den Supermarkt oder ins Lager gebracht.

Zurück zum Alltag

Allzu bekannt, und in eher schmerzhafter Erinnerung, wird dem Deutsch sprechenden gleich welcher Färbung die Unterscheidung zwischen kultur und šund sein. Darüber lacht man beim Hercegnovski Strip Festival glücklicherweise nur mehr. Diesen Unsinn selbst bringt’s aber nicht zum Verschwinden. Leider.

In manchmal unterschiedlicher Schreibweise begegnet einem der šrafciga, den man braucht, um eine šraf oder šaraf anzuziehen – was man in Serbien öfter macht als in den anderen Gebieten, in denen die Sprache ohne Namen gesprochen wird. Dort ist der slawische Ausdruck vijak gebräuchlicher – zumindest offiziell. In der Umgangssprache ist der Unterschied nicht so deutlich ausgeprägt.

In Serbien geht man auch häufiger zu šnajder als etwa in Bosnien und Kroatien – allerdings nicht unbedingt, um sich einen šal machen zu lassen. Das wäre doch etwas aufwändig. Das Titelfoto dieses Beitrags stammt aus Kragujevac. Dass man mehr šnajder in Serbien findet als anderswo, liegt nicht daran, dass sich die Serben lieber maßgeschneiderte Kleidung anfertigen lassen wollen als die Anderen oder dass sie ihre Kleidung häufiger flicken lassen. Aus irgendeinem Grund ist dieser Germanismus dort verbreiteter als in den Gegenden, die lange unter der Fuchtel der Habsburger standen.

Gleichwohl, in Brčko findet sich auch ein solcher.

Und in Zenica gibt’s am Markt sogar eine šnajderica.

Wofür man eine špigla braucht

So ein šnajder hat idealerweise eine špigla – was, wie der šnajder selbst ein informeller Ausdruck ist, mit beidem sollten man kroatischen Behörden eher nicht antanzen.

Ungeachtet dessen braucht man eine špigla auch zuhause und andernorts, um nachzusehen, ob die šminka richtig sitzt. Das ist vorwiegend für Frauen relevant, aber nicht ausschließlich. Auch eine špigla hat idealerweise der frizer – damit der Kunde nachsehen kann, ob das štucovati des Bartes auch zu einem špic geführt und der Haarschneider nicht šlampav gearbeitet hat. In Kroatien und Slowenien – und nur dort – macht er das mit einer škare, was ein bisschen ein altertümelnder Germanismus ist. Man kann nur hoffen, dass dort nicht ein Radiosender mit šlager läuft – außer, man steht drauf.

Ebenfalls teilweise eine Frage der Mode ist, dass man gerne šlank ist – was sich freilich mit dem Inhalt der špajz nicht immer vereinbaren lässt.

Warum man unter š so viele Lehnwörter findet

Das ist, nebenbei, nur eine unvollständige Liste der Germanismen und Austriazismen, die sich in der Sprache ohne Namen unter dem Buchstaben š finden.

Da wären etwa noch šaht, šikanirati, šlagvort, štrand, šlauf, šlepati, šlic, šlif, špalir, špalta, špica, špil, štihvort, štikla, štrajkbreher, štrudla, štopati, šuster, šuta, švercati, švindlati – und etliche Abwandlungen dieser Begriffe, und noch etliche in lokalen Dialekten und Idiomen.

Das ist bemerkenswert viel für nur einen Buchstaben.

Das ist vor allem auf die Transkription zurückzuführen, sagt Nedad Memić. Nedad ist ein alter Freund und in Sarajevo geborener Germanist, Journalist und Autor. Er hat unter anderem ein Wörterbuch der Germanismen und Austriazismen im Bosnischen geschrieben (mehr erfahrt ihr HIER). „Unter š kommen mehrere deutsche Buchstaben beziehungsweise Laute zusammen, die im Deutschen eben getrennt sind: Sch, St und Sp.“

Das erklärt die auffällige Häufung.

Bemerkenswert ist auch, dass die allermeisten Begriffe mit Technik zu tun haben oder zu dem Konglomerat gehören, das man am besten mit Macht beschreibt: Verwaltungssprache, Kultur, Wissenschaft, kulturelle Neuerungen.

Das spiegelt die materiellen Verhältnisse im 19. und 20 Jahrhundert wieder, in denen der deutschsprachige und der südslawische Raum zueinander standen. Das Habsburgerreich und das Deutsche Reich, inklusive seiner Vorgänger, waren in dieser Region Europas hegemonial – kulturell wie technisch, im Fall des Habsburgerreichs zum Teil auch politisch und militärisch.

Dieses Verhältnis schuf einen enormen Modernisierungsdruck. Für Neuerungen, die unter diesem Druck eingeführt wurden, oder die von alleine Eingang in die Alltagskultur fanden, wurden meist die originalen Ausdrücke verwendet.

Das ist eine sehr häufige Entwicklung, wenn eine materiell deutlich überlegene und eine materiell deutlich unterlegene Kultur miteinander in Verbindung treten. Ein weiteres Beispiel etwa wären die vielen französischen Ausdrücke, die im 17. und 18. Jahrhundert und teilweise während der Französischen Revolution ihren Eingang ins Deutsche fanden. Auch die Franzismen im Englischen zeugen davon. Wie auch die vielen Anglizismen im zeitgenössischen Deutsch.

Ob unter š oder unter anderen Buchstaben – die Germanismen und Austriazismen in der Sprache ohne Namen sagen also etwas über die Geschichte. Und nichts über eine prinzipielle Überlegenheit oder Unterlegenheit einer Kultur. Sie verraten uns freilich, dass man von Zagreb bis Ulcinj in vielen Dingen eher pragmatisch an Sachen herangeht. Und ein hohes Maß an Anpassungsfähigkeit ist ein wichtiges Kriterium für Überleben und Entwicklungsfähigkeit von Kulturen.

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Eine verwendete Quelle ist das Wörterbuch Rječnik bosanska jezika des Sprachwissenschaftlichen Instituts der Universität Sarajevo aus dem Jahr 2007

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